Hochzeitsglocken über London
Kapitel 1 - Ben - Bildersegen
Ben ließ langsam die Luft aus seinen Lungen entweichen und versuchte, sich zu konzentrieren. Geduld war eine Tugend, die er zwar besaß – doch hier und jetzt näherte sie sich dem Ende. Seine Hände waren zittrig geworden. Er zog eine Augenbraue nach oben und blickte verzweifelt in den Spiegel.
Wenn er richtig gezählt hatte, war dies der achte gescheiterte Versuch gewesen, seine Fliege zu binden. Heute könnte sich sein Leben ändern und alles, was zwischen seinem alten und dem eventuell neuen Leben lag, war diese verdammte Fliege. Zumindest in diesem Moment. Hilfesuchend fiel sein Blick zu Mark, der entspannt auf der Couch saß, ihren Kater Coop kraulte und ihn amüsiert beobachtete.
„Was ist denn heute los mit dir? Das ist doch nicht die erste Fliege, die du bindest?“ Mark schmunzelte.
„Aber es ist meine erste eigene Ausstellung“, erwiderte Ben fahrig und starrte zurück in den Spiegel. Tausend Gedanken rasten durch seinen Kopf. Hatten sie an alles gedacht? Was, wenn den Leuten seine Bilder nicht gefallen würden – sie ihn am Ende sogar auslachten?
Mark stand auf und ging zu Ben. „Na los, komm her. Ich helfe dir.“
Ben drehte sich ihm zu. Kunstvoll schwang Mark die Enden seiner Fliege umeinander und verknotete sie. Er trat einen Schritt zurück und sah prüfend auf sein Werk. „Fertig. So kannst du gehen.“
„Wenn ich dich nicht hätte.“ Ben gab Mark erleichtert einen Kuss.
Dieser lächelte ihn verständnisvoll an. „Du brauchst nicht nervös zu sein. Deine Fotos sind der Hammer. Du wirst sehen, die Leute werden sie lieben.“
„Wenn du das sagst …“ Ben strich Mark liebevoll über die Wange.
Er fand jedes Mal die richtigen Worte, zur richtigen Zeit. Ben wurde ein wenig ruhiger, aber seine Hand zitterte noch immer. „Allerdings bist du befangen. Schließlich schläfst du mit dem Fotografen!“ Er schaute zur Uhr. Nur noch etwas über eine Stunde. Wärme wallte in ihm auf.
„Ben. Bleib ruhig. Ich werde immer neben dir sein.“ Mark klang dabei fast schon beschwörend.
„Ich bin ja ruhig. Es ist nur, in letzter Zeit ist so viel schiefgelaufen …“ Ben sah Mark unsicher an.
„Du meinst die Hochzeit? Aber das hat doch nichts mit deiner Ausstellung zu tun. Und ab morgen wird sich alles zum Guten wenden. Du wirst sehen.“ Er küsste Ben auf die Stirn.
„Ich hoffe, dass dieser Weddingplaner etwas taugt.“ Ben wollte glauben, dass mit dem Hochzeitsplaner alles gut werden würde, allerdings nagte der Zweifel immer wieder an ihm.
„Das wird er. Das sind Fachleute mit Kontakten. Sie planen den ganzen Tag Hochzeiten und kennen Locations, die uns niemals einfallen würden.“ Mark schien überzeugt zu sein.
„Ich weiß. Es ist nur … Es sind lediglich knapp fünf Monate bis zu unserem Termin. Hätte ich gewusst, dass man Hochzeiten zwei Jahre im Voraus planen muss … Ich bin einfach nervös.“
Mark feixte. „Bist du jetzt wegen deiner Ausstellung nervös oder wegen der Hochzeit?“
„Beides! Ich bin grundnervös.“
„Dann hör auf damit. Du weißt, am Ende ist alles gut …“
„… und ist es nicht gut, dann ist es noch nicht das Ende“, sagten beide im Chor und stimmten in ein gemeinsames Lachen ein.
Die Türklingel rappelte los.
„Bereit? Das wird der Wagen sein“, sagte Mark.
„Bereit. Auf in den Kampf“, antwortete Ben und folgte Mark, der zur Tür gegangen war und sie für ihn aufhielt.
Gemeinsam fuhren sie mit dem Lift nach unten, durchquerten die Lobby und verließen das Gebäude. Vor dem Haus wartete eine noble schwarze Limousine mit verspiegelten Scheiben. Der Fahrer stand im Frack mit einer Kappe daneben und hielt die hintere Tür auf.
„Findest du das nicht ein bisschen übertrieben?“, flüsterte Ben Mark zu. Er hatte damit gerechnet, in einem Taxi zur Villa zu fahren.
„Nein“, antwortete Mark ruhig. „Das ist alles Teil deines Geburtstagsgeschenks.“
Ben war unwohl über das ganze Aufsehen, welches er um seine Person machte, doch auf der anderen Seite schmeichelte es ihm ungemein. Mark zeigte ihm jeden Tag, wie wichtig er ihm war, und genauso fühlte es sich für Ben an – ein Leben ohne Mark konnte und wollte er sich nicht mehr vorstellen. Sie waren wie zwei Planeten, die sich gegenseitig brauchten, um im Gleichgewicht zu bleiben.
Als Mark ihm Anfang des Jahres eine Fotoausstellung in der alten Villa geschenkt hatte, konnte er noch nicht ahnen, wie groß er die Geschichte aufziehen würde. Sicher, Bens Bilder waren schon des Öfteren in der Villa ausgestellt gewesen, aber immer nur eine Handvoll und mit Bildern von anderen Mitgliedern seiner Fotogruppe.
Dieses Mal hingen dort nur seine Aufnahmen. Mark hatte die Villa für eine Woche gemietet und Einladungen an alle ihre Freunde und Bekannte geschickt. Sogar in einer der großen Zeitungen Londons war ein Artikel über die Ausstellung erschienen. Ihr Freund Martin kannte den für Kultur zuständigen Redakteur der Zeitung und hatte ihn zu dem Artikel überredet. Und jetzt auch noch diese Limousine.
Ben schaute zu Mark hinüber, als er eingestiegen war. Mark saß freudig lächelnd im Wagen und blickte durch die Fenster nach draußen. Trotz seiner Aufregung musste Ben schmunzeln. Er sah in diesem Augenblick, das Kind in Mark an seiner Seite sitzen. Ein Kind, das seine Freude auslebte und ganz in den Moment eingetaucht war. Ben liebte ihn, neben so vielen anderen Dingen, aber vor allem dafür. Marks Augen strahlten und seine Mundwinkel schienen unterhalb der Ohren festgetackert zu sein, so sehr grinste er. Er verbreitete eine unbändig gute Laune, die allmählich auf Ben übersprang und seine Nervosität in den Hintergrund rücken ließ.
„Ich fühle mich wie ein Star auf dem Weg zu einer Filmpremiere“, raunte Mark ihm zu und rieb mit den Händen über seine Knie.
Ben lächelte. Auch wenn er es nicht wahrhaben wollte, er fühlte sich ganz genauso.
Mark lehnte sich zu ihm herüber und sah ihn aus seiner Position von schräg unten an. „Du bist mein Star und du verdienst diesen Abend. Ich liebe dich.“
Ben beugte sich zu Mark hinunter, sanft berührten sich ihre Lippen. „Ich liebe dich auch und ich werde dich immer lieben. Zumindest, wenn ich das hier alles überleben sollte und ich nicht an einem Herzinfarkt dahinraffe.“
Mark lachte auf. „Das wirst du nicht. Versprochen.“
„Gibt es irgendetwas, das ich noch wissen sollte?“ Je näher sie der Villa kamen, desto mehr schwoll Bens Aufregung wieder an.
„Was meinst du?“, fragte Mark verwundert.
„Du weißt schon, irgendwelche Überraschungen, auf die ich vorbereitet sein sollte? Ich bin ohne Ende angespannt. Versprich mir, dass es keine weiteren Überraschungen geben wird.“ Ben zog bittend seine Augenbrauen zusammen.
Mark lächelte. „Versprochen.“ Er stockte. „Außer dem Artikel, der Morgen über die Ausstellung erscheinen wird.“
„Du bist unmöglich“, entgegnete Ben schmunzelnd.
„Ich weiß, aber ich möchte einfach, dass die ganze Welt weiß, mit was für einem tollen Mann ich zusammen bin. Außerdem hat Martin mit dem Redakteur geschlafen. Es ist also nur zum Teil mein Verdienst.“
Ben lachte auf. „Na dann.“
Schwungvoll bog die Limousine in die Allee ein, die zur Villa führte, und hielt kurz darauf vor dem Eingang. Der Fahrer stieg aus und umrundete den Wagen. Er öffnete die Tür und streckte Ben seine Hand entgegen, um ihm beim Aussteigen zu helfen.
„Vielen Dank.“ Mark drückte dem Fahrer einen Schein in die Hand und zwinkerte ihm zu.
Gemeinsam mit Mark ging Ben zum Eingang der Villa. Sein Herz klopfte so stark in seiner Brust, dass er es in seinen Ohrläppchen spüren konnte. Am Geländer des Balkons, der über die Eingangstür ragte, war ein Banner befestigt worden. Fotoausstellung mit Bildern von Ben Smith stand darauf zu lesen. Er blieb einen Augenblick stehen und betrachtete es voller Stolz.
Dann ging er mit Mark die breite Treppe nach oben. Undeutliches Gemurmel drang durch die verschlossene Tür nach außen.
„Bereit?“ Mark legte seine Hand auf die Türklinke.
Ben atmete noch einmal tief durch. Er starrte gegen das Türblatt, fixierte einen Punkt darauf und versuchte, sich zu beruhigen. „Bereit.“
Mark öffnete die Tür und ihm blieb für einen Augenblick die Luft weg. In der kleinen Eingangshalle standen ungefähr fünfzig, sechzig Leute. Er entdeckte neben seinen Eltern auch seine Schwester mit ihrer Familie sowie all ihre Freunde. Als er zusammen mit Mark die Villa betrat, verstummten die Anwesenden für einen Moment, bevor das erste Klatschen erklang, in das schon bald alle anderen einstimmten. Ben spürte Wärme in seinen Wangen aufsteigen. Freundlich lächelnd geleitete Mark ihn zu der geschwungenen Treppe, die nach oben führte.
Bens Blick wanderte durch den Raum. Er liebte die Villa. Auch wenn sie vor ein paar Jahren renoviert worden war, hatte sie ihren altmodischen Charme nicht verloren. Die zum Teil holzgetäfelten Wände, der Marmorfußboden, auf dem blutrote Teppiche, mit goldenen Verzierungen, lagen und die bronzefarbenen Kronleuchter: Das alles mischte sich zu einem unwiderstehlichen Ambiente.
Mark ging mit ihm ein paar Stufen nach oben und zeigte an, etwas sagen zu wollen. Nach und nach verstummte der Applaus.
„Ein herzliches Willkommen an euch alle“, sagte Mark mit fester Stimme. „Wir freuen uns, dass ihr die Zeit gefunden habt, heute bei Bens erster eigener Fotoausstellung zu sein.“ Dann gab er Ben mit seinen Augen ein Zeichen.
Dieser trat einen Schritt nach vorn. Zitternd hielt er sich am Treppengeländer fest und atmete tief ein. „Hallo zusammen“, begann er mit dünner Stimme zu sprechen. Er räusperte sich und fuhr fort: „Ich freue mich, euch alle zu sehen. Da ich kein Freund großer Worte bin – wünsche ich euch jetzt einfach viel Spaß mit meinen Bildern und hoffe, dass sie euch gefallen.“
Erneut brandete Applaus auf, während Ben ein Brocken, mindestens so groß wie der Buckinghampalast, von seinem Herzen fiel. Der Applaus ebbte ab und ging in ein interessiertes Gemurmel über. Allmählich verteilten sich die Leute.
Ben und Mark gingen die Treppe nach unten.
„Ich bin stolz auf dich“, flüsterte Mark ihm ins Ohr.
Erleichtert lächelte er ihn an. „Der schwierigste Teil ist geschafft.“ Er schnappte sich zwei Gläser Sekt bei einem der Kellner, die mit ihren Tabletts zwischen den Gästen herumliefen. Eins der Gläser reichte er Mark und prostete ihm zu.
„Hey“, tönte Rominas Stimme hinter seinem Rücken.
Ben drehte sich um.
„Ihr werdet doch nicht ohne deine Schwester anstoßen?“ Sie hob ihr Glas. „Ich wusste ja gar nicht, dass mein kleiner Bruder ein solcher Künstler ist“, sagte sie lächelnd und stieß ihr Glas klingend gegen das von Ben.
„Jetzt übertreib mal nicht“, erwiderte Ben geschmeichelt. „Sonst bist du immer genervt, wenn ich mit meiner Kamera auftauche.“
„Ich mag es nun mal nicht, dauernd fotografiert zu werden. Magst du mich noch?“, fragte Romina und klimperte mit ihren Augenlidern.
„Du sollst das nicht immer fragen!“ Ben schüttelte grinsend den Kopf.
„Ich wäre nicht ich, wenn ich es nicht tun würde. Also was ist? Magst du mich noch?“ Sie schickte einen flehenden Blick zu ihrem Bruder.
Bens Lippen formten ein breites Grinsen. „Könnte gut möglich sein. Ich muss darüber nachdenken.“
„Warum nachdenken, wenn die Antwort nur ein Ja sein kann?“, flötete sie.
Ben zuckte lachend mit den Schultern.
„Dann stürz dich mal in die Menge und genieß den Abend.“ Sie lächelte, winkte und ging zurück zu ihrer Familie.
Ben blickte um sich. Einige der Gäste hatten sich inzwischen auf den Weg nach oben, in die eigentliche Ausstellung, begeben. Mark stand am Fuß der Treppe zusammen mit Martin und Steven, zwei ihrer besten Freunde. Während er zu ihm ging, nickte er grüßend einigen der Gäste zu, die ihm zuprosteten.
„Da kommt ja der Star des Abends“, rief Martin, als er Ben kommen sah.
„Sag so was nicht“, meinte Ben und spürte erneut Wärme in sich aufsteigen.
„Ist aber so. Ich bin beeindruckt.“ Martin nippte an seinem Glas.
„Ich habe den beiden gerade erzählt, wie es mit den Hochzeitsvorbereitungen läuft“, klärte ihn Mark auf.
„Ich hätte nie gedacht, dass es so schwierig wird, eine passende Location zu finden“, ergänzte Ben.
„Es wird doch irgendwo in dieser Stadt einen Ort geben, an dem ihr feiern könnt?“, mischte sich Steven in das Gespräch ein.
„Das dachte ich auch. Aber alles, was uns eingefallen ist, ist Monate, wenn nicht sogar Jahre, im Voraus ausgebucht, zu klein, zu groß oder zu teuer.“ Ben blickte frustriert in die Runde.
Mark legte seinen Arm um seine Schultern und drückte ihn an sich. „Es wird schon. Wir treffen uns morgen mit einem Weddingplaner, den mir ein Kollege empfohlen hat.“
„Um genau zu sein, mit dem wohl letzten Weddingplaner in dieser Stadt, der noch Zeit hat. Von einem guten Dutzend anderer haben wir bereits Abfuhren kassiert“, erwiderte Ben resigniert. „Notfalls verschieben wir eben um ein Jahr.“ Die vielen Absagen in den vergangenen Wochen hatten seine anfängliche Euphorie inzwischen fast zum Erliegen gebracht. Lediglich ein kleiner Funke Hoffnung war geblieben, als Mark mit dem neuen Weddingplaner aufgetaucht war.
„Hey, Kopf hoch, das wird schon.“ Steven lächelte ihn aufmunternd an. „Falls ihr Hilfe braucht, sagt einfach Bescheid.“
Martin stimmte ihm nickend zu.
„Lernen wir dann endlich einmal deinen Hunter kennen?“, fragte Mark Steven.
„Spätestens dann.“
„Scheint ein vielbeschäftigter Mann zu sein. Jetzt seid ihr bald ein Jahr zusammen und wir haben ihn noch nicht ein einziges Mal gesehen.“ Mark zwinkerte ihm zu, während seine Mundwinkel zuckten.
„Ich weiß. So ist das eben bei Detektiv Inspektoren.“ Steven hob seine Schultern.
„Aber es gibt ihn, oder?“, warf Martin feixend ein.
Seinem Blick nach zu urteilen, wusste Steven nicht, was Martin ihm sagen wollte.
„Na ja, nicht dass das so ein imaginärer Freund ist. Ein weißes Kaninchen namens Harvey oder so etwas in der Art.“
Steven warf Martin einen missmutigen Blick zu. „Erzähl uns lieber, was es bei dir Neues gibt. Du bist in diesem Bereich auffallend still in letzter Zeit“, antwortete er.
Martin winkte ab und zog eine Schnute. „Die Typen werden immer verrückter. Muss am Brexit liegen.“
„Was heißt das?“ Steven lehnte sich lässig gegen das Treppengeländer.
„Mein letztes Date war vorgestern. Ein echt heißer Typ …“
„Das klingt nach einem Aber?“ Auf Stevens Gesicht breitete sich ein schadenfreudiges Schmunzeln aus.
„Gibt es nicht immer ein Aber?“ Martin lachte zynisch auf. „Wir wollten gerade aus dem Pub, in dem wir uns getroffen hatten, zu mir nach Hause aufbrechen. Doch dann kam der Dealbreaker“, erklärte er.
„Warum? Was war denn?“, fragte Steven.
„Er hat nebenbei erwähnt, dass er hin und wieder bei einem Blowjob rülpst.“ Martin verzog sein Gesicht.
Stevens Blick hing wie festgemauert an ihm. Dann brach er in lautes Gelächter aus, in das auch Mark und Ben einstimmten.
„Ja, lacht nur und genießt, dass ihr nicht mehr in diesem Horrorkabinett herumfischen müsst.“ Martin versuchte, den Eingeschnappten zu mimen, was ihm jedoch nicht lange gelang und er ebenfalls losprustete. „Wisst ihr – eigentlich hätte ich gerne mein Gesicht gesehen, als er es gesagt hat. Ich sah bestimmt ziemlich bescheuert aus.“
„Ach komm schon Martin, du fischt doch ganz gerne in diesem Horrorkabinett.“ Steven knuffte ihn gegen die Schulter.
Marks beste Freunde Tom und Oliver stießen zu der Gruppe. Tom klopfte Ben auf die Schulter, während Oliver ihn umarmte.
„Tolle Bilder.“ Tom deutete die Treppe hinauf. „Was meinst du, ob mir der Fotograf einen Rabatt gibt, wenn ich ein paar davon kaufe?“
„Das ist gut möglich“, erwiderte Ben und grinste verlegen.
Für einen Moment war Ben wieder das Thema, aber Martin lenkte es sehr schnell um.
Tom und Oliver hatten im letzten Jahr nach einer größeren Krise beschlossen, ihre Beziehung zu öffnen. Für Martin waren sie dadurch zu so etwas wie Jagdkumpanen geworden. Seitdem er davon Wind bekommen hatte, tauschte er sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit über seine und ihre neusten Erfolge aus.
Ben liebte Martins Geschichten, doch heute war er zu angespannt, sich darauf konzentrieren zu können. Er verabschiedete sich, um in den oberen Stock zu gehen.
Mark hatte wirklich ganze Arbeit geleistet, wie er feststellte, als er mit ungläubigem Blick an seinen Bildern vorbeischlenderte. Jedes Foto war in einem schwarzen Rahmen mit Passepartout gerahmt. Neben den Bildern hingen kleine Schildchen, auf denen der Name des Fotos, das Entstehungsdatum und der Entstehungsort gedruckt waren. Ben hatte sich tagelang die Namen überlegen müssen. Jetzt, wo er die Bilder hängen sah, musste er zugeben – die Arbeit hatte sich gelohnt.
„Sieh dir mal diese Perspektive an“, hörte er einen Mann zu seiner Frau sagen, die vor einem Bild standen, das er am Primrose Hill geschossen hatte. Aus einer anderen Richtung meinte er ein „Ob man die Bilder kaufen kann?“ zu hören.
Ben hätte sich zu gern dazugestellt, traute es sich allerdings nicht. Auch wenn er diesen Moment ungemein genoss, trug er doch immer seine kleinen Selbstzweifel in sich.
In einem der hinteren Zimmer entdeckte er ihren Nachbarn Andy, der sich mit Marks Ex-Freund Neal flüsternd unterhielt.
„Was habt denn ihr zu tuscheln?“, fragte Ben amüsiert, nachdem er sich von hinten an die beiden herangeschlichen hatte.
„Psst“, zischte Andy. „Sieh nicht hin, wir überlegen, ob der Typ hinter der Bar schwul ist oder nicht.“
Ben drehte seinen Kopf in die Richtung.
„Du sollst nicht hinschauen“, ermahnte ihn Neal.
„Er steht sowieso gerade mit dem Rücken zu uns“, verteidigte sich Ben.
„Ich glaube nicht, dass er schwul ist. Er hat so eine Heteroattitüde“, meinte Neal.
Andy schüttelte den Kopf. „Jede Wette, dass er es ist. Er ist viel zu heiß für einen Hetero.“
Ben schielte wieder zu dem Kellner, der sich in diesem Moment umdrehte und traute seinen Augen nicht. „Wette lieber nicht, Neal“, sagte er. „Andy würde gewinnen.“
„Woher willst du das wissen?“ Neal sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen verdutzt an.
„Weil ich ihn kenne. Ihr entschuldigt mich.“ Ben ging zu dem Kellner, der dabei war, einige Sektgläser zu befüllen. Er beugte sich zu ihm, doch er war so in seine Arbeit vertieft, dass er Ben wohl nicht hatte kommen sehen.
„Pass auf, dass du nichts verschüttest“, raunte ihm Ben zu und grinste.
Der Kellner senkte die Flasche und starrte ihn an. „Ben? Was machst du hier?“
„Ich eröffne meine Ausstellung“, antwortete er und lächelte. „Viel interessanter ist, was du hier machst.“
Steph grinste Ben mit seinem lausbubenhaften Charme an. „Ich versuche, Sekt einzuschenken.“ Er besaß es noch immer, dieses gewisse Etwas, mit dem er Bens Herz vor etlichen Jahren gestohlen hatte. Ben horchte in sich – der Zorn, den er ihm gegenüber jahrelang gespürt hatte, war verschwunden. Ein wenig freute er sich sogar, ihn hier zu treffen.
„Du bist dieser Ben Smith?“ Steph sah Ben verwundert an und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen.
„Das ist mein Name, wie du hoffentlich noch weißt.“
Steph öffnete die nächste Flasche. „Mich hat ein Mark Schuster engagiert.“
Ein Lachen sprudelte aus Ben heraus. „Da engagiert mein zukünftiger Mann meinen Ex-Freund.“
„Zukünftiger Mann?“, hakte Steph überrascht nach. „Herzlichen Glückwunsch. Wann ist es denn so weit?“
„Am siebten Dezember“, erklärte Ben mit ein wenig Stolz in der Stimme und schob verunsichert „hoffe ich“ hinterher.
„Hoffst du?“
Er beugte sich zu Steph. „Hast du schon einmal eine Hochzeit organisiert? Manchmal bringt es dich an den Rand des Wahnsinns.“
Steph schmunzelte. „Bisher bin ich noch mit keinem so weit gekommen. Warum heiratet ihr nicht im Sommer?“
„Der siebte Dezember ist unser Jahrestag. An diesem Tag habe ich letztes Jahr den Antrag bekommen – also fanden wir es passend.“
Stephs Blick wanderte über Ben. „Du siehst glücklich aus“, stellte er fest.
Ben konnte nicht anders, als zu strahlen. „Das bin ich auch. Sehr sogar.“
„Ich freue mich für dich, von ganzem Herzen.“ Steph lächelte ihn an. „Das meine ich ehrlich“, fügte er hinzu.
Ben beäugte ihn prüfend, doch er schien es ernst zu meinen. „Ich werde mich mal wieder um meine Gäste kümmern“, entgegnete er. „Es war schön, dich getroffen zu haben. Und das meine ich ehrlich.“
Zwei Stunden später hatten sich die letzten Gäste verabschiedet. Ben saß geschafft in einem der Sessel in der Eingangshalle und sah zufrieden vor sich hin. Erleichterung hatte sich in ihm breitgemacht, gepaart mit Stolz, Dankbarkeit und Melancholie. Seine anfängliche Aufregung hatte sich schnell in Luft aufgelöst. Er hatte es genossen, dass sich einen Abend einmal alles nur um ihn gedreht hatte. Sein Blick fiel auf Mark, der mit einem der Leute des Cateringservices sprach. Im oberen Stockwerk lief Steph an der Tür vorbei. Er hatte ein leeres Tablett in der Hand, das er wie eine Frisbeescheibe hochwarf und wieder auffing.
Mark kam zu ihm, hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn und setzte sich in den Sessel daneben. „Hat dir der Abend gefallen?“
„Es war einer der schönsten in meinem Leben.“ Ben lächelte ihn an. Vielleicht klang es ein wenig schmalzig, aber es traf den Punkt – Mark legte ihm die Welt zu Füßen.
„Dann habe ich mein Ziel erreicht und wer weiß, was aus diesem Abend alles entsteht. Die Leute waren ziemlich begeistert von deinen Bildern.“ Er klang überaus stolz.
Ben schwieg lächelnd. Er hatte noch immer ein Problem damit, Lob entgegenzunehmen. In solchen Momenten würde er sich am liebsten umblicken, um zu schauen, ob nicht doch jemand anderes gemeint war. Sein Blick fiel erneut zur Tür im ersten Stock. Steph lief wieder zurück, dieses Mal mit dem Tablett voller leerer Sektgläser.
„Wusstest du, dass du Steph engagiert hast?“, fragte Ben schmunzelnd.
„Steph? Welchen Steph?“ Mark schien nicht zu verstehen.
„Meinen Ex-Freund Stephen.“
Mark sah sich um. „Ist das dein Ernst? Welcher ist es?“
„Der Kellner oben im ersten Stock.“
„Das tut mir leid.“ Er nahm Bens Hand und strich sanft mit seinem Daumen darüber.
„Muss es nicht“, entgegnete Ben und winkte ab. „Ich habe mich vorhin kurz mit ihm unterhalten.“
Mark antwortete mit einem langgezogenen „Okay.“
„Keine Sorge. Es ist noch alles heil.“ Er lachte auf. „Wir sind wohl an dem Punkt angelangt, an dem man wieder normal miteinander umgehen kann. Und außerdem bin ich jetzt mit jemanden zusammen, den ich über alle Maßen liebe.“
„Ist das so?“, fragte Mark feixend. „Kenne ich diesen jemand zufällig?“
„Könnte sein, dass ihr euch schonmal begegnet seid. Er ist öfter bei uns zuhause.“
„Ja, wenn das so ist – lass uns nach Hause fahren und nachsehen.“ Mark stand auf und reichte Ben seine Hand, um ihn aus dem Sessel zu ziehen.
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