Hunter B. Holmes - Mord in der besten Gesellschaft

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Kapitel 1 - Es war der Gärtner


Hunter hatte den Nachmittag auf seiner der Dachterrasse seines Lofts zusammen mit Godric verbracht. Er lehnte sich in seiner Liege zurück und sah in den Himmel. Während die Sonne allmählich am Horizont in einem dramatischen Farbenschauspiel versank, blitzten über ihm vereinzelte Sterne auf. Weit entfernt hörte er, das Rauschen der Stadt. Ein Vorteil, wenn man in einer solchen Höhe lebte, war es, dass der Lärm des Tages nur gedämpft dort oben ankam. Hunter liebte es, zu dieser Zeit des Tages auf der Terrasse zu sitzen und zu beobachten, wie die Lichter der Stadt zum Leben erwachten.
  Er sah zu Godric hinüber, der noch immer in sein Buch vertieft war. Er saß in einiger Entfernung in einem der gemütlichen Sessel, das Gesicht in das warme Licht der Leselampe getaucht, die Hunter ihm zum letzten Geburtstag geschenkt hatte.
  Hunters Blick wanderte wieder zu den Sternen. Der Himmel, der vor wenigen Minuten noch in einem warmen orangerot geleuchtet hatte, war nun in ein zartes Rosa übergegangen und färbte sich langsam in ein tiefes Violett. Hoch über ihm schimmerte die schmale Sichel des Mondes durch eine vorbeiziehende kleine Wolke. Dieses Bild erinnerte   Hunter an seine alte Spieluhr, die in seinem Kinderzimmer gehangen hatte. Eine Wolke, aus der ein freundlich dreinblickender Mond gelächelt hatte. Diese Erinnerung weckte in ihm ein wohliges Gefühl.
  Als die Wolke am Himmel weiterzog, wanderten seine Gedanken wieder zu Steven, so wie sie den ganzen Tag zu ihm gewandert waren, seit er am Morgen gegangen war. Er war zu einer Konstante in seinen Gedanken geworden, zu einem Mittelpunkt, um den sich alles drehte. Die meisten seiner Gedanken begannen und endeten mit ihm, mit seinem Lächeln, mit der Art, wie seine Augen leuchteten, wenn er ihn ansah und mit dem Gefühl, das seine Berührung in ihm auslöste.
  Die Dunkelheit senkte sich nun endgültig über die Stadt, und die Lichter der Stadt begannen zu leuchten, als wollten sie die Sterne am Himmel widerspiegeln. Hunter spürte eine tiefe Zufriedenheit, eingehüllt in die Magie dieses besonderen Augenblicks.
  Das Surren seines Mobiltelefons riss ihn aus diesen Gedanken. Auf dem Display erblickte er das Bild von David. Ein Anruf um diese Zeit konnte nur zwei Gründe haben. Entweder es war wieder ein Notfall mit Roberta oder es war etwas Dienstliches.
  „Hey, was ist los? Wie geht es dir?“, meldete sich Hunter, nachdem er abgenommen hatte.
  „Mir geht es gut, einem anderen nicht mehr ganz so. Wir haben eine Leiche in einem Gentlemen’s Club“, sprudelte David los.
  Hunter stand auf. „Wo bist du jetzt?“
  „Noch zuhause, aber ich fahre jetzt los. Ich schicke dir die Adresse rüber. Es ist South Park. Du solltest also nicht so lange brauchen. Bye.“
  Noch bevor Hunter sich verabschieden konnte, hatte David aufgelegt und fast im gleichen Augenblick ging bereits eine Nachricht von ihm ein.
  „Ist etwas passiert?“, fragte Godric aus dem Hintergrund.
  „Ein ungeklärter Todesfall. Falls wir uns nicht mehr sehen, sage ich schon einmal gute Nacht.“ Hunter lief an ihm vorbei und klopfte ihm auf die Schulter und deutete auf das Buch. „Und viel Spaß noch bei der Mördersuche.“
  „Das Gleiche wünsche ich dir auch.“ Godric zwinkerte Hunter zu und vertiefte sich wieder in seine Lektüre.

Als Hunter am Knightsbridge Greens Gentlemen’s Club ankam, standen bereits zwei Polizeiwagen vor dem Eingang. Wie er sah, waren auch die Spurensicherung und Lee bereits vor Ort. Er ging die Stufen zur Eingangstür hinauf. Zwei Polizisten standen rauchend neben der Tür.
  „DI Holmes“, begrüßte ihn der eine und nickte ihm zu. „Den Gang entlang nach hinten.“ Er deutete auf einen langen Flur, der auf der gegenüberliegenden Seite der Eingangshalle zu sehen war, ohne das Hunter hatte fragen müssen.
  Er bedankte sich mit einem Nicken und betrat das Gebäude. Ein opulenter Kronleuchter schmückte die Eingangshalle. Sein warmes Licht fiel auf die dunkelbraunen, polierten Holzdielen, mit denen die Wände verkleidet waren. Der Raum war mit einem gepflegten roten Teppich ausgelegt, auf dem in der Mitte das Clubwappen prangte. Hunter spürte die Aura aristokratischer Tradition, als er die Halle durchquerte. Unweigerlich musste er an den Club denken, in dem sein Vater verkehrte. Von daher ahnte er, was ihn hier für ein Klientel erwarten würde. Versnobte, reiche Leute, die sich für etwas Besseres hielten. Eine Beschreibung, die durchaus auch auf seinen Vater zutraf.
  Am Ende des Flurs entdeckte er Roberta, die sich mit David unterhielt. Am Fenster davor standen zwei gut gekleidete Männer. Ihrem Aussehen und dem Alter nach, schätzte er, dass es sich um Mitglieder des Clubs handeln musste.
  „Hallo Hunter. Ich bin auch gerade erst eingetroffen“, begrüßte ihn David, als er ihn erreicht hatte.
  Hunter nickte zur Begrüßung beiden zu. „Roberta. Wissen wir schon etwas Genaueres?“
  „Es war auf jeden Fall Mord, so viel kann ich dir jetzt schon sagen.“
  „Wer hat ihn gefunden?“, erkundigte sich Hunter.
  David deutete auf die beiden Männer, die im Flur standen. „Mr Penbrook hat die Polizei verständigt. Er war hier mit Mr Harrington verabredet“, antwortete David im Flüsterton.
  „Informierst du die beiden. Ich möchte nur kurz erst mit Lee sprechen.“ Hunter streifte seine Handschuhe über und betrat die Bibliothek. Auch sie war mit dem gleichen roten Teppich ausgelegt wie der Rest des Gebäudes. Deckenhohe, schwere Holzregale, gefüllt mit in Leder gebundenen Büchern, füllten drei Wände des Raumes. Auf der Fensterseite waren die Regale um die Fenster herum gebaut worden. Schwere Vorhänge verdeckten die Scheiben. Die vierte Wand zierte ein großes Landschaftsgemälde in Öl über einem mannshohen Kamin, vor dem mehrere antik anmutende Polstersofas standen. Wuchtige Deckenleuchter sorgten für eine stimmungsvolle Beleuchtung, die dennoch hell genug war, um noch lesen zu können.
  Etwa drei Yards hinter der Eingangstür lag ein Mann in einem blauschwarzen Karohemd und Jeans bäuchlings auf dem Boden. Sein Hemd war am Rücken blutgetränkt. Neben ihm lag ein Messer mit einem reich verzierten Griff. Lee stand daneben und sah Hunter skeptisch an.
  „Du bist spät dran, Sherlock“, rief er ihm zu.
  „Ich komme weder zu spät, noch zu früh, sondern genau da, wann ich kommen wollte, Dolittle“, erwiderte Hunter und ging neben der Leiche in die Hocke.
  „Gut zu wissen, Gandalf. Sei der Held deiner eigenen Welt.“
  Hunter sah zu Lee hinauf und zog eine Augenbraue nach oben, ließ das Gesagte jedoch unkommentiert. „Was wissen wir?“
  „Der Mann ist tot.“
  Mit einem Stöhnen erhob sich Hunter. „Äußerst witzig, Dolittle.“
  „Nenn mich nicht so Sherlock. Ich kann Kampfsport.“
  Hunter lachte auf. „Du machst mir Angst. Zu den Fakten. Was wissen wir sonst noch, außer dem Offensichtlichen?“
  „Ich nehme an, er starb durch akuten Klingeneintritt und es war der Gärtner“, entgegnete Lee genervt.
  „Was habt ihr nur alle mit eurem Gärtner?“, fauchte Hunter.
  „Hör mal Sherlock. Ich bin vielleicht für vieles zuständig, aber ich kann nichts für die Berufswahl meiner Patienten. Und dieser Mann …“ Lee deutete auf die Leiche, „war nun einmal ein Gärtner.“
  „Er war Gärtner?“, fragte Hunter ungläubig.
  „Spreche ich undeutlich? War er, und zwar von ihm …“ Lee deutete auf die beiden Männer, die Hunter bei seinem Eintreffen gesehen hatte.
  „Welcher von beiden?“
  „Der mit den markanten Gesichtszügen. Ich lasse die Leiche jetzt abtransportieren. Sobald mein Bericht fertig ist, gebe ich dir Bescheid.“
  Hunter verabschiedete sich und steuerte auf die beiden Männer zu, die noch immer im Flur am Fenster standen und betroffen in die Bibliothek blickten. David hatte sich inzwischen zu den beiden gestellt und schien ihre Angaben aufzunehmen. Die beiden bildeten einen relativ starken Kontrast zueinander, was ihr Aussehen betraf.
   Der Ältere war eher leger gekleidet, Jeans, offenes Hemd, Freizeitjacke. Mit seinen männlich markanten Gesichtszügen, den kurz geschorenen Haaren, dem Dreitagebart und den stechend blauen Augen sah er wie der Hauptdarsteller eines Abenteuerfilms aus. Der andere dagegen war eher bieder. Mit grauem Zweireiher, passender Weste und weinroter Krawatte wirkte er auf Hunter wie ein Banker. Die modische Kurzhaarfrisur und die Brille verstärkten diesen Eindruck. Wie aus einem Hochglanzprospekt für Kapitalanlagen kam es Hunter in den Sinn. Im Gegensatz zu seinem Nachbarn war er frisch rasiert und fast schon übertrieben gepflegt. Ein Mann, der im Bad sehr wahrscheinlich länger brauchte als die meisten Frauen.
  „Guten Abend, ich bin DI Hunter B. Holmes“, stellte sich Hunter vor, als er zu dem ungleichen Pärchen stieß. „Wer von ihnen hat die Leiche gefunden?“
  „Ich“, stieß der Banker aus. Er streckte Hunter seine Hand entgegen. „Ich bin Leopold Penbrook“, stellte er sich vor und deutete auf den Abenteurer. „Das ist mein Geschäftspartner Giles Harrington.“
  Harrington nickte und deutete auf die Tür zur Bibliothek. „Das da drin, also der Tote, ist mein Gärtner.“ Er machte auf Hunter einen sehr zwiespältigen Eindruck. Seine Statur strahlte Vitalität aus, aber in seinem Blick lag etwas Mattes, Müdes.
  „Was wollten sie hier? Ist der Club um diese Zeit nicht schon längst geschlossen?“, hakte Hunter nach.
  „Wir haben Schlüssel. Der Club gehört Rupert Greenway, einem Geschäftspartner. Wir nutzen die Bibliothek gerne als Besprechungsraum“, entgegnete Penbrook.
  „Um was für Geschäfte handelt es sich dabei?“
  „Wir importieren und vermarkten Zigarren“, klärte ihn Harrington auf.
  Hunter zückte seinen Notizblock und machte sich einen Vermerk. „Besteht die Möglichkeit, sich hier irgendwo ungestört zu unterhalten?“
  „Selbstverständlich. Dort vorne links ist die Bar.“ Penbrook deutete in die Eingangshalle.
  „Dann würde ich gerne mit Ihnen beginnen. Bitte.“ Hunter wies ihm, vorauszugehen, während Giles Harrington im Flur zurückblieb.

Auch die Bar passte zum Ambiente des Clubs. Der rote Teppich war hier durch einen dunkelblauen ersetzt worden und der Tresen aus kunstvoll verziertem Mahagoniholz gefertigt. Über die Wände zogen sich Gemälde alter Landkarten, wie man sie aus der Kolonialzeit kannte. Und ähnlich wie in der Eingangshalle sorgte auch in diesem Raum ein übergroßer Kronleuchter für eine stimmungsvolle Beleuchtung.
  Penbrook deutete auf einen Vierertisch gegenüber des Tresens und nahm auf einem der Stühle Platz. Hunter und David setzten sich ihm gegenüber.
  „Also, Mr Penbrook. Wie war das heute Abend?“, begann Hunter.
  „Ich war mit Giles um 20.00 Uhr verabredet. Als ich gegen 20.30 Uhr in die Bibliothek kam, lag er da. Also Mr Grenfield. Oliver.“ Penbrook strich sich über die Stirn. „Wäre ich doch nur rechtzeitig da gewesen. Verdammter Stau.“
  „Was meinen Sie damit?“
  „Ich habe einen Ihrer Kollegen sagen hören, dass er noch nicht so lange tot sein kann.“ Er lehnte sich zurück und betrachtete das Barregal, das bis zum Rand mit Flaschen gefüllt war, die alle möglichen Flüssigkeiten enthielten. „Wissen Sie, ich hasse es, zu spät zu kommen. Wenn es acht Uhr heißt, bin ich normalerweise fünfzehn Minuten früher da.“
  „Außer heute“, bemerkte Hunter.
  „Außer heute. Ich steckte mit dem Wagen in einem Stau in der Nähe der Westminster Bridge fest. Irgendeine Demonstration. Wer weiß, wenn ich pünktlich gewesen wäre, vielleicht wäre dieses Unglück dann nicht passiert.“
  Hunter notierte sich seine Aussage und blickte ihn fragend an. „Nun, Mr Penbrook. Wen jemand mit einem Messer erstochen aufgefunden wird, handelt es sich nicht um ein Unglück, sondern um Mord. Zumindest in den allermeisten Fällen.“
  „Entschuldigen Sie.“ Penbrook senkte betroffen den Kopf.
  „Wo war Mr Harrington? Wenn Sie verspätet ankamen, müsste er doch schon hier gewesen sein?“
  Er sah Hunter an und schüttelte den Kopf. „Er kam kurz nach mir an. Giles hatte sich wohl eine falsche Uhrzeit in seinem Handy hinterlegt.“
  Hunters Blick glitt zu David, der Penbrook skeptisch beäugte und wanderte dann zurück zu ihm.
  „Passierte so etwas öfter?“
  Penbrook zog seine Stirn in Falten. „Was meinen Sie Inspector?“
  „Diese Unpünktlichkeit.“
  „Ganz und gar nicht. Wir sind beide überaus pünktliche Menschen.“
  „Sie erwähnten vorhin einen dritten Geschäftspartner?“, mischte sich David jetzt in das Gespräch ein. „War dieser auch mit Ihnen verabredet?“
  „Sie meinen Rupert? Nein, Rupert ist stiller Teilhaber. Er hält sich aus dem aktiven Geschäftsbetrieb weitestgehend heraus. Er hat uns lediglich die Bibliothek zur Verfügung gestellt.“
  Hunter lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fixierte Penbrook mit durchdringendem Blick. „Gibt es darüber hinaus noch weitere Geschäftspartner?“, hakte er nach und legte den Kugelschreiber zur Seite.
  „Gibt es. Wir sind zu viert. Der vierte im Bunde ist Horatius Tickleberry. Und falls Sie fragen, auch er war heute Abend nicht vorgesehen.“ Ein Lächeln umspielte Penbrooks Lippen, was Hunter nicht entging.
  Hunter hob eine Augenbraue und beugte sich leicht zu ihm vor. „Was amüsiert Sie?“
  „Wissen Sie, Horatius ist ein wenig speziell. Seit der Pandemie würde er am liebsten in Desinfektionsmittel baden. Von daher verlässt er seine Villa nur im äußersten Notfall.“
Hunter notierte sich dies kurz und nickte dann langsam. „Verstehe. Kannten Sie das Opfer?“
  „Oliver? Ja natürlich. Er war Giles´ Gärtner und hat hin und wieder hier im Club gearbeitet. Sein Onkel Elliot ist hier Barkeeper.“
  „Und heute? War Oliver heute auch hier?“ Ungeduldig tippte er mit seinem Kugelschreiber auf die aufgeschlagene Seite in seinem Notizbuch.
  „Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich denke nicht. Oliver hat eigentlich nur ausgeholfen, wenn der Club ein Event veranstaltet hat oder wenn sein Onkel Dienst hatte. Wie Sie vorhin selbst festgestellt haben, hatte der Club heute bereits geschlossen. Danach ist auch kein Personal mehr hier.“
  „Richtig! Sie haben Schlüssel. Können Sie mir sagen, wer sonst noch Schlüssel zu den Clubräumen hat?“
  Penbrook zog die Augenbrauen hoch und schüttelte bedauernd den Kopf. „Leider nein. Ich nehme an, das Personal und wir von Zigarrenclub. Fragen Sie doch am besten Rupert. Ich gebe Ihnen seine Adresse.“ Er zog einen ledernen Visitenkartenhalter aus der Innentasche seines Sakkos und fischte eine der Karten heraus, die er Hunter hinschob.
  Er nahm die Karte und warf einen schnellen Blick darauf. „Vielen Dank. Ich denke, das wäre es fürs erste.“ Sein Blick fiel auf David. „Oder hast du noch Fragen?“
  David schüttelte überlegend mit dem Kopf. „Im Moment nicht.“ Dann stand er auf und begleitete Leopold zurück, um Mr Harrington zu holen, während Hunter seine Notizen vervollständigte.
  Die Aussage von Leopold Penbrook erschien ihm glaubwürdig. Den Stau konnten sie leicht überprüfen. Aber sie mussten unbedingt die anderen beiden Geschäftspartner befragen. Es war auffällig, dass ein Teilzeitmitarbeiter nach Feierabend im Club war und ausgerechnet in der Bibliothek, dem inoffiziellen Besprechungsraum, tot aufgefunden wurde. Für Hunter deutete dies darauf hin, dass Oliver Grenfields Tod möglicherweise mit den Geschäften der Firma zusammenhing.
  Hunter hob den Blick und sah die makellosen, lederbezogenen Barhocker, die ordentlich vor dem Tresen standen. Das Licht des Kronleuchters spiegelte sich im polierten Holz, kein Staubkorn war zu sehen. Die kunstvoll arrangierten Flaschen an der Rückwand der Bar wurden von warmem, indirektem Licht beleuchtet und wirkten wie ein gläsernes Mosaik. Der Raum strahlte gediegene Gemütlichkeit aus. Hunter bevorzugte solche Räume gegenüber modernen Designerbars, denn hier herrschte immer eine intime, heimelige Atmosphäre, egal wie viele Leute anwesend waren.
  Noch in Gedanken vertieft, wandte er sich wieder seinem Notizbuch zu. Kaum hatte er seine Aufzeichnungen vervollständigt, kam David mit Mr. Harrington herein.
  „Mr Harrington.“ Er stand auf, um ihn zu begrüßen, nickte ihm zu und deutete auf den Platz, auf dem vor Kurzen sein Geschäftspartner gesessen hatte. „Danke, dass sie sich die Zeit nehmen. Mir ist bewusst, dass dies sehr belastend für Sie sein muss. Das Opfer war bei Ihnen angestellt?“
  „Richtig. Mr Grenfield war mein Gärtner.“ Er zog den Stuhl unter den Tisch hervor und ließ sich darauf nieder. Seine eisblauen Augen suchten Hunters Blick und schwenkten dann zu David, als Hunter diesen erwiderte.
  „Wie lange schon?“ Hunter fixierte sein Gegenüber. Er machte einen gefassten Eindruck, seine Gesichtszüge waren entspannt. Unweigerlich stellte sich Hunter ihn in einem Abenteurer-Outfit vor, als wäre er direkt aus einem Indiana-Jones-Film entsprungen.
  „Ein paar Monate.“ Harrington rieb sich sein Kinn, während er auf die Tischplatte starrte. Sein Dreitagebart kratzte hörbar dabei. „Ein halbes Jahr vielleicht. Ich kümmere mich nicht um das Personal.“ Er stockte und sah zu Hunter auf. „Entschuldigen Sie, dass klang jetzt anders, als es gemeint war.“
  Hunter strengte sich an verständnisvoll zu schmunzeln. „Ich habe es rein sachlich interpretiert. Ich nehme an, Mr. Grenfield ist nicht ihr einziger Angestellter gewesen. Und in einem Haushalt herrscht nun einmal meistens Aufgabenteilung.“
  Es gelang Harrington nicht, ein abfälliges Lächeln zu unterdrücken. „Sie sagen es, Inspector.“
  „Wo ist ihr Anwesen?“, hakte Hunter nach.
  „Draußen in Hampstead … Aber es ist nicht mein Anwesen, sondern das der Familie meiner Frau.“ Seine linke Augenbraue schnalze hoch und ein Hauch von Unbehagen huschte über sein Gesicht.
  „Wie war ihr Verhältnis zu ihrem Gärtner?“, fragte David und lenkte damit das Verhör wieder zurück auf das Opfer.
  Harrington lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und fuhr mit seinem Zeigefinger die Tischkante ab. „Ich hatte nicht viel mit ihm zu tun. Wie bereits gesagt, kümmere ich mich nicht um unser Personal. Ich habe lediglich hin und wieder einen Small Talk mit ihm gehalten, wenn ich bei meinen Vögeln war. Und hin und wieder hat er hier im Club ausgeholfen. Sein Onkel ist ... war der Barkeeper.“
  „Vögel?“, hakte Hunter nach.
  Harrington nickte und ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen. „Mein Hobby. Ich züchte Wellensittiche und habe ein umgebautes Gewächshaus im Garten als Voliere.“
  Hunter notierte sich das und blickte dann wieder zu ihm auf. „Können Sie uns sagen, wo Mr Grenfield gelebt hat?“
  „Das kann ich sehr wohl. Auf Lavender Gardens, unserem Anwesen. Wir haben das Nebengebäude für unsere Angestellten hergerichtet. Oliver hatte eine kleine Wohnung dort. Mietfrei selbstverständlich.“
  „Das findet man selten, heutzutage.“
  Harrington schenkte Hunter ein neutrales Lächeln, ließ seine Anmerkung jedoch unkommentiert.
  „Ich würde ein paar Kollegen vorbeischicken, die die Wohnung in Augenschein nehmen.“
  „Selbstverständlich.“ Er zog eine Visitenkarte heraus und reichte sie Hunter. „Hier ist die Adresse.“
  Hunter nahm die Karte und reichte sie David. „Gibst du sie Roberta, die übliche Vorgehensweise.“ Harrington musste nicht wissen, dass die übliche Vorgehensweise, das Versiegeln der Wohnung beinhaltete. Immerhin wohnte er sehr nahe mit dem Opfer zusammen. Es sollte keine Möglichkeit geben, eventuelle Beweise verschwinden zu lassen.
  „Aus welchem Grund könnte Mr Grenfield heute Abend in der Bibliothek gewesen sein? War er hier im Club auch für Reinigungsarbeiten zuständig“, fuhr Hunter mit der Vernehmung fort, während David hinaus eilte, um Roberta zu unterrichten.
  „Ich kann Ihnen nicht sagen, was er dort wollte. Eigentlich gehört die Bibliothek zu den Privaträumen und wird von den Angestellten nur betreten, wenn etwas bestellt wird. Und was die Reinigung angeht. Rupert hat sie vor ein paar Jahren an eine externe Firma vergeben.“
  „Aber heute Abend sollte doch eine Besprechung stattfinden?“, bemerkte Hunter und blickte Harrington durchdringend an. „Zu der Sie zu spät kamen.“
  Etwas nicht zu Greifendes huschte über Harringtons Gesicht, während er sich gedankenverloren an den Hals griff. „Richtig. Ich hatte mir den Termin falsch notiert.“ Seine Hand wanderte in den Nacken. „Ich werde wohl langsam alt.“ Ein Lachen gluckste aus ihm und er schüttelte den Kopf. „Wenn sie die fünfzig einmal überschritten haben … Aber zum Glück war auch Leopold, entgegen seinen Gepflogenheiten zu spät.“
  „Pünktlichkeit wird bei Ihnen allen großgeschrieben“, stellte Hunter fest.
  David war zurück und setzte sich wieder auf seinem alten Platz.
  „Allerdings. Es ist eine Sache des Respekts. Ich möchte nicht auf andere warten, also sollen das die anderen bei mir auch nicht tun müssen.“
  „Ein Mann mit Prinzipien. Das gefällt mir.“ Hunter nickte anerkennend und lächelte ihn an. „Wo waren Sie, vor Ihrem Termin mit Mr Penbrook?“
  „Zuhause. Ich war bis kurz nach achtzehn Uhr bei meinen Vögeln und habe mich dann zurechtgemacht, bevor ich zum Clubhaus gefahren bin. Als ich hier ankam, stand Leopold neben der Tür zur Bibliothek und hat telefoniert.“
  „Telefoniert?“, fragte David.
  „Ja, mit der Polizei. Er traf wohl kurz vor mir ein und hatte Oliver entdeckt.“
  „Können Sie uns etwas darüber sagen, wer einen Grund gehabt hätte, Mr Grenfield zu ermorden?“, fragte Hunter.
  Harrington schluckte schwer und seine Augen weiteten sich leicht. „Ist es denn sicher, dass es Mord war?“
  „Nun ja, er wurde in den Rücken gestochen. Ich denke, wir können mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass er sich das Messer nicht selbst dorthineingerammt hat.“ David nickte, um seine Aussage zu unterstützen.
  „Entschuldigen Sie, natürlich. Ich. Ich habe noch nie mit … so etwas … zu tun gehabt.“
  „Glücklicherweise werden die meisten unserer Mitmenschen nur sehr selten mit derartigen Verbrechen konfrontiert.“ Hunter tippte mit der Rückseite seines Kugelschreibers auf sein Notizbuch. „Würden Sie mir noch meine Frage beantworten?“
  „Selbstverständlich, entschuldigen Sie.“ Er senkte den Blick. „Also, ich denke nicht. Oliver war ein sympathischer junger Mann. Weltoffen und an seinen Mitmenschen interessiert. Er hatte Charme. Wer sollte so jemanden umbringen wollen?“
  „Das gilt es herauszufinden, Mr Harrington. Fürs Erste bedanke ich mich, dass Sie sich Zeit genommen haben.“
  „Ich bitte Sie. Das ist doch wohl selbstverständlich.“
  Hunters schaute zu David.
  „Warum treffen Sie sich eigentlich hier? Haben Sie keine Firmenräumlichkeiten?“
  Ein Lächeln huschte über Harringtons Lippen. „Wir haben lediglich ein kleines Büro mit zwei Angestellten, die den Schriftkram erledigen. Da wir alle schon vor der Firmengründung Mitglied hier waren und Rupert einer unserer Teilhaber ist, hat es sich einfach ergeben.“ Aus dem Lächeln wurde ein Grinsen. „Außerdem ist es so für Horatius einfacher, hin und wieder an unseren Treffen teilzunehmen. Er ist … nun ja … ein wenig speziell, was das Zusammentreffen mit anderen Menschen angeht und in der Bibliothek gibt es darüber hinaus ein sehr gutes Videokonferenzsystem.“
  „Speziell in welchem Sinn?“ Hunter zog fragend seine Augenbrauen zusammen und war gespannt, ob sich seine Aussage in diesem Punkt mit der von Penbrook decken würde.
  Harrington beugte sich zu ihm „Angst vor Keimen.“
  „Wie lange gibt es diese Firma schon?“, fragte Hunter.
  „Seit neun Jahren. Nächstes Jahr haben wir Jubiläum.“ In seiner Stimme schwang ein gewisser Stolz mit.
  „Und sie vermarkten Zigarren?“
  „Richtig. Wir importieren und vermarkten Luxuszigarren. Sie werden direkt vom Lieferanten zu unseren Kunden geliefert, von daher auch nur das kleine Büro.“
  „Vielen Dank.“ Hunter streckte ihm seine Hand entgegen, in die Harrington einschlug. „Sollten wir noch etwas wissen wollen, werden wir uns melden.“ Er zog eine Visitenkarte aus der Innentasche seines Jacketts und reichte sie seinem Gegenüber. „Falls Ihnen noch etwas einfällt. Meine Nummer.“
  Harrington bedankte sich höflich, nahm die Karte und verabschiedete sich. Ein Aufschrei ließ Hunter und David herumfahren. Roberta die wohl zum gleichen Augenblick im Begriff, hereinzukommen, war direkt in Harrington hineingelaufen.
  „Mein Gott haben Sie mich erschreckt. Ist alles okay?“, stieß sie aus.
  „Bei mir schon. Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht erschrecken,“ murmelte Harrington, während er einen kurzen Blick zu Hunter und David warf. „Guten Abend.“
  Noch bevor Roberta etwas erwidern konnte, eilte er hinaus.
  „Roberta. Wie können wir dir helfen?“, fragte Hunter.
  Ihr Blick fiel auf David, auf dessen Gesicht sich schon bei ihrem Hereinkommen ein strahlendes Grinsen ausgebreitet hatte. Hunter hatte den Eindruck als würde ein dezenter Rotschimmer über ihre Wangen fliegen, konnte es aufgrund der dezenten Beleuchtung jedoch nicht genau sagen. Obwohl die beiden nun schon einige Wochen zusammen waren, hatte das den Zauber des Verliebtseins keine Spur geschmälert.
  „Roberta“, rief Hunter ermahnend und schmunzelte.
  „Entschuldige“, fing sie sich wieder. „Wir haben eine brennende Mülltonne in einer Seitenstraße hier um die Ecke entdeckt und der Dolch, mit dem der Gärtner ermordet wurde, scheint ziemlich wertvoll zu sein, meint zumindest Lee.“
  „Hmm. Interessant. Sichert bitte den Inhalt der Mülltonne.“
  „Schon geschehen. Ich habe sie löschen, und abtransportieren lassen.“
  „Danke, Roberta.“
  Sie wandte sich zum Gehen. „Bis später Cupcake.“
  „Bis später Buttercup.“
  Hunter verkniff sich ein Grinsen.
  „Was?“, fuhr ihn David an. „Jetzt erzähl mir nicht, dass du und Steven keine Namen füreinander habt.“
  „Äh …“ Hunter überlegte. „Nein.“ Waren sie schon an dem Punkt, an dem man Kosenamen vergab? Vergab man diese überhaupt oder entstanden sie nicht einfach so, aus der Situation heraus. „Jetzt mal Kosenamen beiseite. Was sagst du zu Mr Penbrook und Mr Harrington?“
  David ging zur Bar und zog sich einen der Hocker in Position, bevor er sich setzte. „Sie klangen glaubwürdig. Hast du Zweifel?“
  „Was mir komisch vorkommt, ist der Zeitpunkt und der Ort. Wenn Grenfield nur gelegentlich ausgeholfen hat, was wollte er dann hier, um diese Zeit in einem Raum, den er auch sonst eher selten betreten hatte, an einem Abend, an dem zwei Menschen, die scheinbar immer pünktlich waren, verspätet kamen.“
  „Zu einem Treffen zu zweit“, ergänzte David.
  „Richtig.“ Hunter verschränkte die Arme und tippte sich mit dem Finger an den Ellbogen. „Sehr viele Zufälle.“
  „Glaubst du die beiden haben etwas mit dem Tod des Gärtners zu tun?“
  „Ich denke nicht. Penbrook hat die Leiche gefunden, kurz bevor Harrington gekommen ist. Wenn ich das Verhalten der beiden betrachte, war aber Harrington der Nervösere. Penbrook dagegen wirkte völlig entspannt.“ Hunter drückte sich von dem Tisch ab, an dem er gelehnt hatte. „Vielleicht war aber Harrington nur so nervös, weil er zuhause Probleme zu haben scheint.“
  „Wie kommst du darauf?“ David sah Hunter erstaunt an.
  „Ein Gefühl. Immer wenn es um sein Zuhause ging, schwang etwas Abfälliges in seiner Stimme mit.“
  „Jetzt, wo du es sagst. Ich kümmere mich nicht um das Personal.“
  „Und er lebt auf dem Anwesen der Familie seiner Frau. Das Geld scheint also von dieser Seite zu kommen.“ Hunter zuckte mit den Schultern. „Aber ich denke, es ist noch viel zu früh, um etwas anzunehmen oder ausschließen zu können.“
  „Wie machen wir weiter?“
  „Wir fahren zum Onkel des Opfers.“
  „Hast du die Adresse?“
  Hunter zog die Visitenkarte von Rupert Greenway aus seiner Tasche, die er von Penbrook bekommen hatte, und wedelte damit. „Ich nicht, aber sein Boss. Ich fordere einen Wagen an.“
  „Schon erledigt. Ich dachte mir schon, dass wir einen brauchen werden, deswegen habe ich vorhin einen mitgebracht.“
  „Warst du auf dem Yard? Heute ist Sonntag.“
  „Roberta hatte sowieso Dienst und ich habe ihr ein paar Muffins vorbeigebracht. Ich wollte gerade wieder gehen, als der Anruf kam.“
  „Muffins.“ Hunter grinste. „Was machen den deine Backkünste?“
  „Es wird …“

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