Hunter B. Holmes - Eine Leiche zum Geburtstag
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Kapitel 1 - Ab aufs Land
Hunter lehnte sich entspannt in seinen Sitz zurück, während der Zug langsam das geschäftige London hinter sich ließ und sich den weiten Wiesen und ruhigen Tälern von Meadowfield Hills näherte. Die Metropole verblasste in der Ferne und die Gebäude wichen den grünen Weiten Südenglands.
Steven hatte seinen Kopf auf Hunters Schulter gelegt und blickte hinaus auf die vorbeiziehende Landschaft, der leichte Wind strömte durch das halb geöffnete Fenster herein und trug den Duft von frisch gemähtem Gras und die ersten warmen Aromen des nahenden Herbstes mit sich. Hunter spürte das sanfte Rucken des Zuges, das wie ein gleichmäßiger Herzschlag durch den Wagen pulsierte.
Regelmäßige Atemzüge streiften sein Kinn, ein Lächeln lag auf Stevens Lippen. Die Sonnenstrahlen fielen flackernd durch die Baumreihen und tauchten das Abteil in warmes Licht.
Hunter lehnte sich zurück und betrachtete seine Mitreisenden. Es war das erste Mal, dass er seine Freunde aus London mit in sein altes Leben nahm. Wobei er weder seinen Partner David noch Steven gekannt hatte, als er vor knapp drei Jahren das letzte Mal auf Rosemoor Hall gewesen war.
Ihm gegenüber saß David mit seiner Freundin Roberta, die sich leise unterhielten und dabei Händchen hielten. Ihre Blicke begegneten sich immer wieder, begleitet von kleinen, liebevollen Gesten, die Hunter ein unwillkürliches Lächeln auf die Lippen zauberten. Roberta zog Davids Hand näher zu sich und drückte einen schnellen Kuss auf seine Knöchel, bevor sie sich wieder ihrer Unterhaltung zuwandte, als wäre nichts gewesen. Er konnte sehen, wie Davids Wangen sich röteten, während er einen Moment lang die Worte suchte, um das Gespräch fortzusetzen. Seit einem knappen halben Jahr waren David und Roberta nun ein Paar. Damals hatte David gerade im Scotland Yard angefangen und Roberta war noch im Innendienst der Spurensicherung gewesen.
Auf dem Sitz neben David herrschte dagegen Ruhe. Hunters Butler, Godric, saß mit geschlossenen Augen auf seinem Platz, sein Atem ging gleichmäßig und ruhig. Sein makelloser Anzug wirkte, als wäre er gerade frisch gebügelt worden. Hunter vermutete, dass er schlief – zumindest so lange, bis ein leises, aber tiefes Schnarchen erklang, da wusste er es. Godric gegenüber las Lee, der Gerichtsmediziner, in einem Buch mit dem Titel ‚Wege der Weisheit‘. Er sah dabei überaus konzentriert aus, als saugte er jeden einzelnen Satz in sich auf. Auf dem Bahnsteig von Sankt Pancras hatte er das Buch fortwährend vor Hunters Nase herumgeschwenkt, bevor sie in den Zug gestiegen waren. Zumindest hatte er so erreicht, dass Hunter der Titel im Gedächtnis geblieben war.
Das gemächliche Rattern der Räder und das sanfte Rauschen des Windes, der durch das Fenster wehte, beruhigten seine Gedanken. Dennoch spürte er ein unterschwelliges Kribbeln – eine Mischung aus Vorfreude und Unbehagen. Auf der einen Seite freute er sich darauf, nach Rosemoor Hall zurückzukehren, seine Mutter zu sehen und all die vertrauten Menschen aus dem Dorf wiederzutreffen. Auf der anderen Seite war da sein Vater.
Hunters Kiefer spannte sich an, als er an ihn dachte. An ihn und ihre Auseinandersetzungen, weil sein Vater nie vollständig akzeptiert hatte, dass Hunter sich für eine Karriere bei der Polizei statt für die Geschäfte der Grafschaft entschieden hatte – ganz anders als sein Bruder Crispin.
Die Felder draußen waren in goldene und grüne Töne getaucht, die im klaren Sonnenschein leuchteten. Hinter den Hügeln lagen kleine Dörfer, deren Häuser wie Spielzeugmodelle wirkten. Ab und an hielt der Zug an einem Bahnhof, um Fahrgäste aus- und zusteigen zu lassen. Hunter beobachtete die Szenen auf den Bahnsteigen – Menschen, die sich umarmten, Kinder, die aufgeregt winkten – und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Mit jeder Meile, die sie Meadowfield Hills näher kamen, spürte er, wie die Vorfreude auf zuhause in ihm wuchs.
„Bist du schon aufgeregt?“, raunte Steven ihm zu. Er setzte sich auf und schaute Hunter mit einem warmen Ausdruck in den Augen an, der die ganze Welt um sie herum für einen kleinen Moment ausblendete.
„Ein wenig“, gestand er und erwiderte das Lächeln.
„Wegen deiner Geburtstagsparty?“, fragte Steven. In seiner Stimme schwang eine Mischung aus Neugier und Belustigung mit.
Hunter beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss. „Wegen der Party nicht mal so sehr. Ich freue mich einfach, die ganzen Leute wieder einmal zu sehen.“
„Wie groß wird diese Party eigentlich?“, schaltete sich David in das Gespräch ein.
Hunter blickte nachdenklich Richtung Decke und wiegte seinen Kopf. „Hmm … so hundertfünfzig bis zweihundert Gäste.“
Roberta lachte auf und schüttelte den Kopf. „Für einen 44. Geburtstag? Das ist ja fast wie ein runder! Wie viele kommen, wenn du fünfzig wirst?“
„Bei den Holmes sind die Schnapszahlengeburtstage das, was bei anderen die runden Geburtstage sind“, erklärte Hunter mit einem Zwinkern.
Steven nickte, hob den Zeigefinger und fügte hinzu: „Das ist Tradition.“ Dabei klang er, als hätte er diesen Fakt nicht zum ersten Mal gehört.
„Ganz genau.“ Hunter streckte sich im Sitz und schob seine Beine in den Raum zwischen Davids Füßen, was dieser mit einem gespielt missbilligenden Blick bedachte.
„Wenn du zu deinen Füßen willst, sag Bescheid, dann tauschen wir die Plätze“, kommentierte er das Eindringen in seinen Dunstkreis.
Neben ihnen hatte sich Lee aus seiner Lektüre losgerissen und beugte sich über den Gang zu ihnen. „Wie lange fahren wir eigentlich noch?“, flüsterte er verschwörerisch. „Der alte Mann hier schnarcht ganz fürchterlich.“
„Das ‚alt‘ möchte ich mir verbitten“, murmelte Godric mit geschlossenen Augen, der wacher war, als es den Anschein erweckte. „Und ich schnarche nicht, ich atme nur sehr tief.“
Ein Grinsen huschte über Hunters Gesicht, als Steven den Kopf schüttelte und leise lachte. Die Anspannung der vergangenen Tage, die bevorstehende Feier und der Gedanke an die Begegnung mit seinem Vater verschwanden aus seinem Geist. Hier, umgeben von seinen Freunden, fühlte er sich in diesem Moment einfach nur wohl.
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