Hunter B. Holmes: Studienfach Mord
Kapitel 1 - Ein ganz normaler Morgen
Zischend landeten die Eier zusammen mit dem Speck in der Pfanne. Ein aromatischer Duft stieg Max in die Nase. Er liebte diesen Geruch, denn damit begann für ihn ein guter Tag. Neben dem Herd säuselte die alte Filterkaffeemaschine. Herb saß am Tisch und blätterte mit leicht verschlafenem Blick in der Tageszeitung.
Max drehte das Gas ab und verteilte die Eier und den Speck auf zwei Teller, die er in der Nähe des Ofens platziert hatte, und stellte sie auf den Tisch. Einen vor Herb und einen auf seinen Platz. Er ging zum Schrank und holte zwei Tassen heraus, in die er den frisch gebrühten Kaffee einschenkte. In seinen kam ein Löffel Zucker, in Herbs ein kleiner Schwall Milch. Nachdem auch die Tassen auf dem Tisch standen, nahm er gegenüber seinem Mann Platz.
„Nun leg doch mal die Zeitung beiseite. Du kannst sie lesen, wenn ich weg bin“, forderte er ihn auf. So ging es jeden Morgen, und Max wünschte sich, Herb würde mit ihm reden, anstatt die Schlagzeilen zu lesen. Das hieß, nein, reden brauchte er gar nicht – aber er sollte ihm seine Aufmerksamkeit schenken.
Herb gehorchte stumm. Er faltete die Zeitung zusammen und legte sie an den Rand des Tisches.
„Was steht bei dir heute an?“, erkundigte er sich monoton und nippte an seiner Tasse.
„Um neun Uhr hab ich eine Vorlesung in altrömischer Geschichte und anschließend Sprechstunde. Es wird also nicht allzu spät heute“, antwortete Max.
Er schob sich eine Gabel Spiegeleier in den Mund und biss danach von dem krossgebratenen Speck ab. Das Krachen des Specks in seinem Mund wurde mit jedem Bissen leiser.
„Was hast du geplant?“, fragte er mit noch halbvollem Mund.
„Ich wollte die Fenster putzen und im Anschluss an meinem Buch weiterarbeiten.“
„Die Fenster kann ich doch heute Nachmittag machen, wenn ich wieder zuhause bin.“
„Wie du meinst“, antwortete Herb dröge und sah Max stumm dabei zu, wie er den Rest der Eier verschlang.
Max leerte seine Tasse und räumte sein Geschirr in die Spülmaschine. Dann nahm er einen Lappen und wischte seinen Bereich auf dem Tisch ab. Herb beobachtete ihn teilnahmslos und nippte wieder am Kaffee.
Innerlich seufzte Max. Dieses Spiel lief nun schon seit Jahren so. Jeden Morgen. Max betrachtete Herb. Was ging nur in seinen Kopf vor? Wahrscheinlich hing Herb mit seinen Gedanken schon wieder an einem Plotdetail seines Buches oder dachte darüber nach, was er an der Spannungskurve ändern konnte. Herb lebte in seiner eigenen Welt und Max wollte ihm das auch nicht zum Vorwurf machen, schließlich lebte auch er in der seinen. An manchen Tagen sehnte sich Max nach dem alten Herb. Den, den er kennen- und liebengelernt hatte. Doch dieser Herb schien gegangen. Ob er etwas ahnte? War Herb deswegen so teilnahmslos? Max schob diesen Gedanken beiseite. Herb war eben Herb.
„Ich bin dann weg“, verabschiedete sich Max. Er ging zu ihm, gab ihm einen Kuss auf die Wange und schnappte sich seine Aktentasche.
Die Sonne wärmte sein Gesicht, als er vor die Haustür trat. Die weißen Reihenhäuser in seiner Straße leuchteten im Sonnenlicht. Dafür, dass es erst Mai war, war es ungewöhnlich warm an diesem Tag. Max holte tief Luft und spürte, wie sie in seine Lungen strömte. Es duftete nach dem nahenden Sommer.
Voller Tatendrang schwang er sich auf sein Rad und trat in die Pedale. Die Addison Road runter nach Shepards Bush und dann in Richtung der Universität davon. Der Fahrtwind streichelte seine Haut. In diesem Moment fühlte sich Max frei und glücklich. In solchen Augenblicken wurde ihm klar, wie gut er es in seinem Leben erwischt hatte. Einen Job, der ihn ausfüllte, ein behagliches Zuhause, einen Mann, der ihn liebte, und aufregenden Sex. Ein zufriedenes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, während er über den breiten Bürgersteig zur Uni radelte.
Dort angekommen schob er sein Fahrrad in einen der freien Ständer, die zuhauf auf dem Parkplatz angebracht waren, und schloss es ab. Er warf die Schlüssel pfeifend in die Luft und fing sie wieder auf. Dann reihte er sich in den Strom der Studierenden, die auf dem Weg zu ihren Vorlesungen waren, ein und lief im Gewimmel die Treppe nach oben ins Gebäude. Er liebte diese Lebendigkeit, die von ihnen ausging. Diese Vitalität, von der er das Gefühl hatte, sie würde auf ihn überspringen. Sie machte, dass er sich jung fühlte.
Max’ Assistent Charlie wartete bereits am Eingang auf ihn.
„Guten Morgen Max“, begrüßte er ihn und betrat an seiner Seite das Gebäude.
„Morgen. Haben wir schon viele Anmeldungen für heute Mittag?“
„Eine gute Handvoll. Und ich denke, es werden heute auch nicht sehr viel mehr werden. Unser Studienberater hat für heute Nachmittag um einen Termin gebeten.“
Max lächelte beim Gedanken an ihn. „Hast du Steven zugesagt?“
„Ja, er kommt um drei, bis dahin sollte die Sprechstunde beendet sein.“
„Sehr gut! Starten wir in die Vorlesung.“
„Wenn du nichts dagegen hast, würde ich heute gerne mit in die Vorlesung kommen. Es liegt nichts weiter an und römische Geschichte hat mich schon immer interessiert, wie du weißt.“
„Ja sicher, mach das.“ Max war froh Charlie zu haben. Seit er vor zwei Jahren die Stelle angenommen hatte, sorgte er dafür, dass sein Leben angenehmer wurde – unkomplizierter. Er kümmerte sich hervorragend um die Organisation seiner Termine und erledigte hin und wieder auch Angelegenheiten für ihn, die nicht unbedingt zu seinem Aufgabenbereich gehörten, sei es die Blumen für Herb zum Geburtstag zu besorgen oder sein defektes Mobiltelefon zur Reparaturannahme zu bringen. Manchmal fühlte es sich für Max an, als wäre Charlie der Sohn, den er nie hatte.
Als Max den Hörsaal betrat, saßen ein gutes Dutzend Studierende auf den Bänken. Einige blätterten in ihren Unterlagen, während eine kleine Gruppe junger Frauen zusammenstand und sich angeregt unterhielt. Sie verstummten, als sie Max bemerkten, und suchten ihre Plätze auf. Charlie nahm am rechten Rand der untersten Reihe in der Nähe des Stehpults Platz.
Max ließ den Blick durch die Bänke schweifen, auf der Suche nach Harper. Doch er war nicht anwesend. Er entdeckte lediglich seinen Mitbewohner Scott in der Mitte der ersten Reihe, der ihn mit abfälligem Blick musterte. Leichter Groll stieg in Max empor, als er Scotts Blick bemerkte, doch er schob ihn beiseite. Wann würde er endlich einsehen, dass er verloren hatte?
Er begann mit seiner Vorlesung über die frühe Kaiserzeit. Es lief gut – die wenigen Anwesenden stellten interessierte Fragen und machten sich Notizen. Max tigerte wie gewöhnlich langsam vor dem Auditorium auf und ab, während er den Stoff unterstützt von einer Präsentation, die Charlie für ihn erstellt hatte, vortrug. Ihm war es lieber, wenn er nur wenige Zuhörer hatte, die sich konzentrierten, als einen vollen Saal, in dem ständiges Gemurmel herrschte. Während er in seinem Vortrag zum Ende der römischen Republik kam und er mit dem Rücken zu den Studierenden stand, knallte es. Erschrocken fuhr Max herum. Scott tastete nach der Wasserflasche, die er umgeworfen hatte.
„Marshall, wer sonst? Zumindest sind Ihre kognitiven Fähigkeiten sehr gut ausgeprägt. Das Hirn sagt Durst und der Fuß sucht nach der Flasche.“
Gelächter erfüllte den Saal. Max suhlte sich in dem Gefühl der Macht, die ihm seine Position und seine Schlagfertigkeit in diesem Moment verliehen. Scotts Augen verengten sich zu Schlitzen und er lieferte sich ein kurzes, stummes Blickduell mit Max. Dann nahm er die Flasche, stand wortlos auf und verließ den Raum.
Max schüttelte verständnislos den Kopf und fuhr fort, die Hintergründe, die zur Ermordung von Julius Caesar geführt hatten, zu erläutern. Er liebte die Geschichte Caesars. Sie hatte alles, was eine gute Geschichte brauchte – Dramatik, Verrat, Gewalt. Ihren Höhepunkt fand sie, als Caesar der Überlieferung nach, kurz vor seinem Tod den Satz „Nicht auch du, mein Sohn Brutus“ ausstieß. Max donnerte diesen Satz gerne in den Raum, um die Vorlesung zu beenden. So auch heute. Er genoss diesen Augenblick, wenn seine Studierenden ihn ehrfürchtig dabei anblickten.
Genüsslich ließ er seinen Blick durch die Reihen schweifen.
Er spürte einen Piks am Hals. Reflexartig schoss seine Hand an die Stelle, an der er den Stich wahrgenommen hatte. Ein stechender Schmerz breitete sich von dort unter seiner Haut aus. Seine Finger schlossen sich um einen kleinen festen Gegenstand, der ihm im Hals steckte. Max zog ihn heraus. Es handelte sich um einen dünnen Pfeil, den er in der Hand hielt. Max fixierte den Pfeil mit seinem Blick, doch es fiel ihm schwer, ihn zu fokussieren. Immer wieder verschwamm das Bild vor seinen Augen. Ihm wurde schwummrig. Dröhnende Kopfschmerzen wallten vom Nacken über ihn hinweg, Schwindel überkam ihn. Max wankte. Es gelang ihm, sich am Pult abzustützen, dabei glitt der Pfeil aus seiner Hand und fiel zu Boden. Schmerz und Schwindel schwollen zu einem undurchdringbaren Schleier an. Der Stuhl? Wo war der Stuhl? Max versuchte, sich am Pult zu ihm vorzutasten, um sich zu setzen, doch dann wurde es schwarz um ihn.
Hier findest Du das Buch: Amazon